Wir leben im Verborgenen/We Live in Secrecy

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Erklärung

Ceija Stojkas erstes Memoir, Wir leben im Verborgenen, wurde 1988 veröffentlicht. Es handelte sich um eine der ersten Autobiografien eines deutschsprachigen Romni und die erste eines österreichischen Romni, der die Gräueltaten der Nazis miterlebt und Konzentrationslager überlebt hatte. In diesem Eintrag beschreibt sie ihre erste Lesung im Wiener Nachtclub Kulisse. Das Gefühl der Sicherheit und des Trostes, das sie inmitten so vieler Familienmitglieder, Freunde und Menschen empfand, die sie nicht einmal kannte, gab ihr Selbstvertrauen und gab ihr Kraft.

Description

Ceija Stojka’s first memoir, entitled We Live in Secrecy was published in1988. It was one of the first autobiographies by a German-speaking Romni, andthe first by an Austrian Romni, who had witnessed the Nazi atrocities and hadsurvived concentration camps. In this entry she describes her first reading inthe Viennese nightclub called Kulisse. The feelings of security and comfortthat she experienced in the midst of so many family members, friends, andpeople she did not even know gave her confidence and empowered her.

Original

Wir Leben im Verborgenen

            Gesternwahr Dienstag 22. 11. 1988

ich wurde eingeladen zu meiner Buch Vorstellung

in der Kulisse 1170 Wien Rosensteingasse 39

ich u die Kinder auch Karin wahren schonnvrüher

in tiessen lokkal als ich Tiesen grossen Raumsa

wurte mihr ganz komisch ich konnte mihr nicht

vorstellen das Leute wegen meines Buches sichhir her

setzen sollen u tan noch tazu die Musick sich

anhören zu müssen die ich auf Romanesgeschrieben

habe u meine Kinder die noch nih auf einerBühne

gestanten sient das alles wahr zufiel für mich

ich sass mit Karrin auf einen Tisch ich mustesie imer fragent anschauen

            ichkonnte es nicht glauben es kamen wierklich

sofielle liebe Menschen die ich garnichtgekant habe

es wahr einfach wie ein schönner Traum einTraum

den man fest halten müste, ich hatte blotzlichein

gefüll der geborgenheit die so lieben Menschen

gaben mihr graft u zufersicht u so konntealles

über die Bühnne gehen es wahr schonn eingrosser erfolk

ich möchte mich noch bei Allen bettanken

u gott Beschütze sie lalle

Ceija Stojka

Standarddeutsch

Wir Leben im Verborgenen

            Gesternwar Dienstag 22. 11. 1988.

Ich wurde gerne eingeladen zu meinerBuchvorstellung

in der Kulisse 1170 Wien, Rosensteingasse 39.

Ich und die Kinder und auch Karin waren schonfrüher

in diesem Lokal. Als ich diesen großen Raumsah,

wurde mir ganz komisch. Ich konnte mir nicht

vorstellen, dass Leute wegen meines Buchessich hierher

setzen sollen und dann noch dazu die Musiksich

anhören zu müssen, die ich auf Romanesgeschrieben

habe und meine Kinder, die noch nie auf derBühne

gestanden sind. Das alles war zu viel fürmich.

Ich saß mit Karin auf einem Tisch. Ich musstesie immer fragend anschauen.

            Ichkonnte nicht glauben; es kamen wirklich

so viele liebe Menschen, die ich gar nichtgekannt habe.

Es war einfach wie ein schöner Traum, einTraum,

den man festhalten müsste. Ich hatte plötzlichein

Gefühl der Geborgenheit. Die so liebenMenschen

gaben mir Kraft und Zuversicht und so konntealles

über die Bühne gehen. Es war schon ein großerErfolg.

Ich möchte mich noch bei Allen bedanken

und Gott beschütze sie alle.

English Translation

We Live in Secrecy

            Yesterdaywas Tuesday, Nov. 22, 1988.

I was invited to my book reading

in the Kulisse, 1170 Vienna, Rosensteingasse39.

I and the children as well as Karin hadalready been

in this place before. When I saw this hugeroom

I felt strange. I couldn’t imagine

that so many people had come here to sit down

because of my book and, in addition, having to

hear music that I wrote in Romany,

and my children who have never stood

on stage. That was just too much for me.

I sat with Karin at the table. I had to lookat her constantin questioningly.

            Icouldn’t believe it. So many really

dear people came whom I didn’t even know.

It was simply a beautiful dream, a dream

you have to hold onto. Suddenly I had a

feeling of security. These so dear people

gave me strength and confidence and soeverything could

go on on stage. It was a huge success.

I want to thank all of them

and God protect them all.

Ceija Stojka

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