CST_6_1988_bis_1995_ (14).tif
Ceija Stojkas erstes Memoir, Wir leben im Verborgenen, wurde 1988 veröffentlicht. Es handelte sich um eine der ersten Autobiografien eines deutschsprachigen Romni und die erste eines österreichischen Romni, der die Gräueltaten der Nazis miterlebt und Konzentrationslager überlebt hatte. In diesem Eintrag beschreibt sie ihre erste Lesung im Wiener Nachtclub Kulisse. Das Gefühl der Sicherheit und des Trostes, das sie inmitten so vieler Familienmitglieder, Freunde und Menschen empfand, die sie nicht einmal kannte, gab ihr Selbstvertrauen und gab ihr Kraft.
Ceija Stojka’s first memoir, entitled We Live in Secrecy was published in1988. It was one of the first autobiographies by a German-speaking Romni, andthe first by an Austrian Romni, who had witnessed the Nazi atrocities and hadsurvived concentration camps. In this entry she describes her first reading inthe Viennese nightclub called Kulisse. The feelings of security and comfortthat she experienced in the midst of so many family members, friends, andpeople she did not even know gave her confidence and empowered her.
Wir Leben im Verborgenen
Gesternwahr Dienstag 22. 11. 1988
ich wurde eingeladen zu meiner Buch Vorstellung
in der Kulisse 1170 Wien Rosensteingasse 39
ich u die Kinder auch Karin wahren schonnvrüher
in tiessen lokkal als ich Tiesen grossen Raumsa
wurte mihr ganz komisch ich konnte mihr nicht
vorstellen das Leute wegen meines Buches sichhir her
setzen sollen u tan noch tazu die Musick sich
anhören zu müssen die ich auf Romanesgeschrieben
habe u meine Kinder die noch nih auf einerBühne
gestanten sient das alles wahr zufiel für mich
ich sass mit Karrin auf einen Tisch ich mustesie imer fragent anschauen
ichkonnte es nicht glauben es kamen wierklich
sofielle liebe Menschen die ich garnichtgekant habe
es wahr einfach wie ein schönner Traum einTraum
den man fest halten müste, ich hatte blotzlichein
gefüll der geborgenheit die so lieben Menschen
gaben mihr graft u zufersicht u so konntealles
über die Bühnne gehen es wahr schonn eingrosser erfolk
ich möchte mich noch bei Allen bettanken
u gott Beschütze sie lalle
Ceija Stojka
Wir Leben im Verborgenen
Gesternwar Dienstag 22. 11. 1988.
Ich wurde gerne eingeladen zu meinerBuchvorstellung
in der Kulisse 1170 Wien, Rosensteingasse 39.
Ich und die Kinder und auch Karin waren schonfrüher
in diesem Lokal. Als ich diesen großen Raumsah,
wurde mir ganz komisch. Ich konnte mir nicht
vorstellen, dass Leute wegen meines Buchessich hierher
setzen sollen und dann noch dazu die Musiksich
anhören zu müssen, die ich auf Romanesgeschrieben
habe und meine Kinder, die noch nie auf derBühne
gestanden sind. Das alles war zu viel fürmich.
Ich saß mit Karin auf einem Tisch. Ich musstesie immer fragend anschauen.
Ichkonnte nicht glauben; es kamen wirklich
so viele liebe Menschen, die ich gar nichtgekannt habe.
Es war einfach wie ein schöner Traum, einTraum,
den man festhalten müsste. Ich hatte plötzlichein
Gefühl der Geborgenheit. Die so liebenMenschen
gaben mir Kraft und Zuversicht und so konntealles
über die Bühne gehen. Es war schon ein großerErfolg.
Ich möchte mich noch bei Allen bedanken
und Gott beschütze sie alle.
We Live in Secrecy
Yesterdaywas Tuesday, Nov. 22, 1988.
I was invited to my book reading
in the Kulisse, 1170 Vienna, Rosensteingasse39.
I and the children as well as Karin hadalready been
in this place before. When I saw this hugeroom
I felt strange. I couldn’t imagine
that so many people had come here to sit down
because of my book and, in addition, having to
hear music that I wrote in Romany,
and my children who have never stood
on stage. That was just too much for me.
I sat with Karin at the table. I had to lookat her constantin questioningly.
Icouldn’t believe it. So many really
dear people came whom I didn’t even know.
It was simply a beautiful dream, a dream
you have to hold onto. Suddenly I had a
feeling of security. These so dear people
gave me strength and confidence and soeverything could
go on on stage. It was a huge success.
I want to thank all of them
and God protect them all.
Ceija Stojka